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Alles zu Deutschlands erstem Recyclinghaus in Hannover

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Ein neugieriger Bauherr und ein innovatives Architekturbüro haben in der Nähe von Hannover, am Kronsberg, die Grenzen des Bauens mit recycelten Materialien ausgelotet.
Sobald diese Idee gefasst wurde, standen die Bauherrn vor drei großen Problemen:

  • Wo finde ich die notwendigen Materialien in einem geeigneten Zustand und in ausreichender Menge ?
  • Wie kann ich sicherstellen, dass diese wiederverwendeten Materialien alle technischen und bautechnischen Anforderungen der heutigen Baunormen erfüllen ?
  • Wo finde ich einen Bauherrn, der bereit ist, diese unkonventionellen Materialien zu verwenden ?

Diese Hindernisse sind einer der Gründe, warum Recyclinghäuser im derzeitigen Boom des nachhaltigen Bauens zu kurz gekommen sind. Es besteht schon lange kein Zweifel daran, dass die Bauindustrie weltweit einer der größten Abfallproduzenten und Ressourcenverbraucher ist. Außerdem ist sie für etwa 40 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen verantwortlich, während gleichzeitig der vorhandene Gebäudebestand eine der größten Ressourcen ist, die wir auf der Erde haben. Wenn ältere Gebäude nicht für neue Zwecke umgebaut werden können, sollten zumindest ihre Materialien für eine Wiederverwendung in Betracht gezogen werden. Dieser Gedanke macht das Einfamilienhaus in einem Vorort von Hannover tatsächlich wichtiger, als seine Größe vermuten lässt: Es ist ein Prototyp für eine zukünftige Bauindustrie.

Die Inneneinrichtung wurde vollständig aus wiederverwendeten Materialien von stillgelegten oder abgerissenen Gebäuden zusammengestellt

Die Geschichte dieses Hauses begann 2015, als das lokale Immobilien- und Bauunternehmen Gundlach beschloss, eine Ausschreibung für ein kleines Grundstück am Rande eines Neubauviertels zu starten, das bereits hohe Nachhaltigkeitsstandards anstrebte. In der aktuellen Baubranche bedeutet das, primär eine gute Dämmung der neuen Häuser. Das Unternehmen war auf der Suche nach einem zu 100 Prozent recycelbaren Haus, um den Gedanken der „Nachhaltigkeit“ ein oder zwei Schritte voranzutreiben.

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Das Konzept des örtlichen Architekturbüros cityfoerster sah vor, ein Haus zu bauen, das vollständig aus recycelten und wiederverwertbaren Komponenten besteht, sodass alle Materialien in einem geschlossenen Baustoffkreislauf gehalten werden konnten. Dabei wurde zum Beispiel das Verkleben von Elementen vermieden. Das Konzept dahinter war, dass alle Komponenten und Materialien ohne Qualitätsverlust demontiert und wiederverwendet werden können. Außerdem verpflichtete sich das Architekturbüro dazu, ausschließlich lokale Materialien zu bevorzugen. Das Unternehmen Lindner Recyclingtech stellte dem Projekt eine vielseitige Produktpalette zur Aufbereitung der verschiedensten Materialien zur Verfügung.

Jedes Material im Recyclinghaus Hannover erzählt seine eigene Geschichte

So wurden die Spülen Abdeckung zum Beispiel aus alten Flaschenverschlüssen hergestellt. Der Projektarchitekt Nils Nolting stellte fest, dass das gesamte Projekt in der Tat einen experimentellen Charakter hatte. Er nahm sein Statement jedoch noch einen Schritt weiter und gestand, dass er sich auf dieses Abenteuer eigentlich nur deswegen einließ, weil er herausfinden wollte, was wirklich möglich ist und was nicht. Immerhin, das Recyclinghaus war drei Jahre in der Planung. Was die Unternehmer in der Vorbereitungsphase überraschte war, dass es viel länger als erwartet dauerte, den rechtlichen Rahmen zu klären und sowohl wiederverwendbare Materialien als auch Unternehmen zu finden, die sich auf das Abenteuer einlassen wollten.

Um beispielsweise einige vorhandene Stahlträger wiederzuverwenden, hätte das Team die Tragfähigkeit für jeden einzelnen Träger nachweisen müssen. Stattdessen entschied man sich für eine Konstruktion aus leimfreiem Holz, bei der sogar die Schrauben aus Holz hergestellt wurden. Die Fundamente für das Recyclinghaus bestehen aus Beton, der zu 42 Prozent aus recyceltem Material besteht.

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Die meisten Fassadenmaterialien stammen jedoch aus Gebäuden von Gundlach, die abgerissen oder umgebaut werden sollten. Zum Beispiel stammen die Fenster mit ihren Aluminiumrahmen und den Faserzementplatten, die nachgeschnitten und neu gestrichen wurden, aus dem „Haus der Jugend“, einem nahe gelegenen Jugendzentrum, das zu einem sozialen Wohnprojekt umgebaut wurde. Die Holzleisten, die jetzt einen wettergeschützten Eingangsbereich bilden, waren früher Saunabänke in einem nahe gelegenen Sportverein. Die profilierten Glasleisten hingegen, die jetzt in Blau und Grün an der Fassade schimmern, wurden aus einer alten Lackiererei gerettet, die abgerissen wurde.

Neue Wege werden gefunden

Die Frage der Architekten – „Wie viel Recycling tatsächlich möglich ist?“ – führte zu unzähligen experimentellen und höchst individuellen Lösungen. Das Ergebnis war nicht nur ein Recyclinghaus, bei dem jeder einzelne Bauteil bereits mit seiner eigenen Geschichte kam, sondern, dass das Haus einen etwas seltsamen jedoch bemerkenswerten Look hat. Die Bauherrn gestanden sich ein, dass sie solch ein Haus nie von Grund auf entworfen hätten. Die Form und das Aussehen des Recyclinghauses sind eine Komposition, die auf den vorgefundenen Materialien und dem, was mit ihnen möglich war, basiert. In gewisser Weise wurde bei dem Entwurfsprozess die Ideen der Architektur auf den Kopf gestellt:

Anstelle das Haus zu entwerfen und danach die passenden Materialien zu bestellen, suchte man bei dem Recyclinghaus zuerst nach den Materialien und entwarf das Haus nach den vorhandenen Bauteilen.

Die Bauherren gaben zu, dass das Recyclinghaus eine neue Art anbot, über Architektur nachzudenken. Sie meinten, man könnte diese Art der Architektur „Design nach Verfügbarkeit“ nennen. Das Ergebnis wären einzigartige Häuser mit einer neuen und unkonventionellen Ästhetik.

Auch wenn das Haus länger dauerte und mehr kostete als ein konventionell gebautes Haus ähnlicher Größe, könnte der Entwurf des Recyclinghauses ein Prototyp für eine neue Form der Wiederverwendungsarchitektur sein, die von den vorhandenen Materialien ausgeht. Damit könnte dieses Haus einen Ausgangspunkt für ein Umdenken im Umgang mit unseren Ressourcen in der Zukunft darstellen.

Was sagen die Mieter über das Recyclinghaus Hannover?

In einem Interview zeigten sich die Mieter des Recyclinghauses begeistert. Einige unter ihnen „verliebten“ sich sofort in das Haus mit seinen vielen Eigenheiten, während andere wiederum erzählten, dass man in diesem Haus immer wieder etwas Neues entdecken konnte. Je mehr sie über die Herkunft der einzelnen Bauteile erfuhren, desto ausgeprägter ist das Wohnerlebnis. Allerdings, das Recyclinghaus ist preislich nicht günstiger als ein herkömmliches Haus.

Unter dem Strich ist das Recyclinghaus Hannover ein Prototyp dafür, was möglich wäre, wenn sich mehr Bauherren dieser Idee anschließen würden.